Neue Presse - Hannover vom 2. Juli 2005

Bilder (leider) nur in schwarzweiß...

Menschen wie du und ich. Was denken sie? Was fühlen sie? Was machen sie gerade? NP-Autorin Corinna Perrevoort lebt mit Mann und zwei Töchtern (2 und 5) in Bemerode. Für die Serie NPrivat besucht sie zufällig ausgewählte Bürger. Heute: Walter Hundertmark, Kleingärtner.

Nichts bleibt gleich. Es gibt einen Anfang und ein Ende, dazwischen Veränderung und Bewegung. Auf manchen wirkt das beklemmend. Aber so ist der Lauf der Dinge, die Natur macht es uns täglich vor.
Seit fast sechs Jahren wohne ich in Hannover, aber noch nie hat es mich nach Davenstedt verschlagen. Wie ein endlos langes Lineal schneidet sich die Hauptstraße durch die Stadtteile. Mir ist nach allem, nur nicht nach Lärm und Krach, endlich der Ortskern. Ich stoppe auf dem idyllisch gelegenen Parkplatz, der zum Kleingärtnerverein „Am Davenstedter Holz“ gehört, steige aus und atme tief durch. Herrlichl Ruhe, Stille, nur Vogelgezwitscher.
Zu Fuß geht es durch das Tor „Neues Dorf“, rechts den Weg entlang Richtung Fahnenmast, Kiesel knirschen. Über die Hecken blicke ich in die Gärten. Sommer ist schön, denke ich. Alles blüht und grünt, Obstbäume ächzen unter ihrer prallen Last.
An einer Gabelung entdecke ich in einem Garten zwei Menschen. Sie hocken in einem Meer von bunten Blumen. „Guten Tag“, sage ich. Das Paar blickt auf, der Mann kommt an den Zaun.

Betörender Rosenduft

Wir reden über Kleingärten, wie erfüllend es ist, einen solchen zu bewirtschaften, und dass ich gern darüber schreiben würde. Walter Hundertmark (68), Postbeamter im Ruhestand, blickt mich prüfend an. Im Prinzip hätte er nichts dagegen. Aber bitte nicht die Sache durch den Kakao ziehen. Viel zu oft wurde in den letzten Jahren über Kleingärtner gelacht, der Ruf — völlig ruiniert. Die Rede ist von Spießbürgertum und Kleinkariertheit, was völliger Quatsch sei. Gern will ich darüber schreiben, verspreche ich.
Herr Hundertmark bittet mich herein. Es geht durch einen Rosenbogen, der Duft dieser königlichen Blume betört. Ein Schritt weiter streckt und reckt sich ein Rosenstämmchen, dick und gesund, voller Blüten. Und dort, ein Mini-Teich, da sattgelbe Ringelblumen, lila Lilien, knallrote Pfingst- und Stockrosen, rosa Klatschmohn, Salat, Möhren, Buschbohnen, Brombeeren, Erdbeeren ... Ein Farben- und Formenbombardement, und das alles auf nur 314 Quadratmetern. Ich bin überwältigt.

„Schön haben Sie es hier“, sage ich begeistert und muss dabei über mich selbst lächeln. Mit 18 hätte ich mir an den Kopf getippt, da fand ich Gärten und besonders die Arbeit, die dazugehört, ziemlich, na sagen wir mal, überflüssig. Heute, 20 Jahre später,

sehe ich mir nach, dass ich es nicht besser wissen konnte.
Die Natur, der Garten gibt einem so viel Kraft und Freude, dieser Anblick, dieser Duft, berauschend und beruhigend zugleich. Oft nur einen Augenblick, denn morgen sieht alles anders aus. Da ist das Stämmchen verblüht, die Apfel fallen herunter — Vergänglichkeit, ein für alle Mal. Aber es geht weiter, der Garten lebt.
„Je älter man wird, desto mehr bedeutet einem ein Stück Land“, sage ich laut. Herr Hundertmark guckt mich wieder so eigenartig prüfend an, stimmt mir aber nickend zu.
1971 ist er mit Ehefrau Edda und seiner Tochter von der Südstadt nach Davenstedt in eine Mietwohnung gezogen.,, Wir kommen beide vom Land, als die Gärten 1973 erschlossen wurden, haben wir uns sofort dafür beworben“, erzählt er. Und seine Frau Edda (64) reist in Gedanken mit, damals, as sie die Steine für die Laube in der Schubkarre heranschleppten, das Haus selbst aufbauten. Oder wie die kleine Tochter regelrecht aufblühte in der Kolonie, endlich frei spielen konnte. Herr Hundertmark hakt ein.,, Für Kinder sind Kleingärten ideal. Hier können sie alles erleben.“
Jeder Winkel ist bearbeitet
Jeden Tag, auch im Winter, sind Herr Hundertmark und Frau im Garten. Hinsetzen tun sie sich selten, allenfalls verweilen. „Es gibt viel zu tun“, sagen sie fast entschuldigend. Und ich blicke mich um. Ohne Zweifel, jeder Winkel, jedes Eckchen sind hier liebevoll bearbeitet und gestaltet worden. Ich entdecke nicht eine verblühte Blume oder ein verdörrtes Blatt. Alles von Hand abgezwackt.
Herr Hundertmark — 25 Jahre lang war er Fachberater für rund 170 Gärten, seit 13 Jahren amtierender Kolonieleiter, quasi die gute Seele des Kleingärtnervereins — sagt:
„Es ist wunderbar hier. Auch die Gemeinschaft, jeder hilft jedem. Wir sind füreinander da. Wo findet man das noch?“ Ich bleibe ihm eine Antwort schuldig, sicher einzigartig.
Eines wünscht sich das Ehepaar: „Es wäre toll, wenn viel mehr junge Leute sich entschließen könnten, einen Kleingarten zu pachten.“ Der Wechsel der Generationen, er steht an. Und mir wird klar: Leider bleibt nichts, wie es war. Solche Kleingärtner, mit Leib und Seele, mit Fleiß und Schweiß, mit Liebe und Lust, die wird es nicht mehr geben, oder?
 

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